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"Monument for the Screams"

 

Sophia Gräfe


 

Sujin Lim ist Studentin des internationalen Masterstudiengangs „Public Art and New Artistic Strategies“. Zuvor arbeite sie als ausgebildete Künstlerin in ihrem Heimatland Südkorea und verstand dort Kunst er als private Erfahrung und subjektive Erzählung des Selbst. Nach einem Arbeitsstipendium in den USA ging sie in 2011 für drei Monate nach Berlin. In dieser Zeit wurde ihr in Anbetracht des dortigen gesellschaftlichen Umgangs bewusst, dass ihr in- trovertierter Charakter und ihre Art und Weise des persönlichen Ausdrucks kulturell erzogen und geprägt worden war. Sujin Lim begriff diesen Perspek- tivwechsel als Chance, ihre Zweifel im Umgang mit ihrer Außenwelt neu zu denken und abermals Kunst als Ausdrucksmittel für diesen Blick nach Außen zu nutzen. Lims Arbeit „Monument for the Screams“ ist nun eine der ersten Arbeiten der Installationskünstlerin und Malerin im öffentlichen Raum. Während ihrer Radtouren durch das sommerliche Berlin waren ihr die un- zähligen Glasscherben auf den Straßen aufgefallen, die ihrem Fahrradreifen wiederholt zum Verhängnis wurden. Diese Scherben kannte sie zuvor nicht auf öffentlichen Wegen. Einerseits faszinierte sie die Form und das Funkeln der Scherben. Andererseits beschäftigte sie der Ton ihres Zerschmetterns. Das helle Klirren von zerspringenden Flaschen klang in den Ohren Lims wie ein Schreien. Denn alle Gegenstände in ihrer Umgebung stehen mit der Künstler- in in einer kommunikativen Verbindung. Sie geben Laute von sich, aus denen Lim Geschichten schreibt und diese in Bilder transformiert. Diese mentale Kommunikation ist dabei nicht als pathologisch einzuschätzen, sondern deu- tet vielmehr einen empathischen Zugang zu den Dingen an. Sujin Lims insta- bile Gemütslage, die sie auf eine institutionalisierte Gesellschaftsform zurück- führt, die die inneren Bedürfnisse ihrer Teilnehmer unterdrücke und die zwischenmenschliche Kommunikation breche, findet Heilung in Lims Kunst im öffentlichen Raum im Sinne einer Gegenbewegung zur Introspektion. Ihre Kunst ist die therapeutische Identifikation mit den Dingen ihrer Umgebung, die ihr Blickfeld erweitert und Anlass zur Kommunikation mit dem Außen ist. Der Stimme der Scherben folgend stolperte sie bei einer Ortsbegehung der Viehauktionshalle in Weimar abermals auf die Überreste dieses Ausdrucks sozialer Kleinstexplosion. Vor dem Eingang der zunächst als Viehauktion- shalle zu Beginn des 20. Jahrhunderts benutzten und später zum tragischen Schauort der Deportation von KZ-Häftlingen des Lagers Weimar-Buchen- wald gewordenen Holzkonstruktion, erwarteten abermals Glasscherben die internationale Expeditionstruppe. Sujin Lims wusste vor ihrem Studium in Deutschland nur wenig vom NS-Deutschland und dem Holocaust. Erschüt- tert von der Tragik des Ortes und gleichsam gerührt von den unzähligen Scherben als Spuren einer späteren Zerstörung, beschloss Lim aus diesen Found objects ein symbolisches Mahnmal zu erschaffen. Die Lampe im Ein- gangsbereich der Halle war marode, ihr Leuchtkörper zersprungen. Der Ort der Erinnerung befand sich wortwörtlich im Dunkeln und Lim entschied sich mit einem Kronleuchter aus Glasscherben auf diese Szenerie zu reagieren. Sie entlieh den alltäglichen Glasscherben ihre Form und übertrug diese in die Idee eines festlichen Gedenkens. Die Parallelisierung „Screaming of Cows, Screaming of Jews, Screaming of Bottles“ mag nicht jedem zusagen, doch in Lims fernen Blick auf einen Ort mit sich überlagernden Erinnerungsge- schichten steckt die Intention das scheinbar Wertlose, das Aussortierte und Weggeschmissene sichtbar zu machen. Während der dreitägigen Ausstellung ihres Lichtobjektes wartete sie auf die Menschen, die sich für gewöhnlich an diesem Ort aufhalten und dem Flaschenwerfen frönen. Leider traf sie am Rande der Kunstausstellung auf keiner dieser Gestalten, deren Intention es ist, sich im Dunkeln zu bewegen. Nichtsdestotrotz bildet „Monument for the Screams“ einen Ausgangspunkt der Künstlerin den Geschichten weiterer Orte zuzuhören und mit ihrer Kunst eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen. Diese neue Grunderfahrung der Selbstermächtigung und soziopolitischen Inter- vention soll nicht nur Lims Schmerzen heilen, sondern auch leidenden Orten und Existenzen Trost spenden.

 

PORT _BAUHAUS MAGAZINE 2012

 

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